02/07/2024 0 Kommentare
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# Neues aus der Gemeinde
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„Was ist eigentlich Gemeinde? Was ist Kirche?“ Solche Fragen wurden vor mittlerweile sehr vielen Jahren einmal auf einem Projektwochenende erörtert. Oftmals kam als Antwort, dass es eben das soziale Band sei, welches die Menschen miteinander verbindet und mittels dem sie sich als einander zugehörig empfinden. Aber dies ist nur eine Seite. In dieser besonderen Zeit, wo wir gerade anderen, uns verbundenen Menschen nicht mehr einfach begegnen können, ist es wichtig, sich der inneren Verbundenheit der Kirche bewusst zu werden.
Einen Fingerzeig kann man darin sehen, dass in den romanischen Sprachen für den Ausdruck „Kirche“ an ein griechisches Wort angeknüpft wird. Im Französischen heißt Kirche „l´église“, im Italienischen „chiesa“
Im profanen Griechischen versteht man unter „ekklesia“, also dem Stammwort, in welchem der italienische und französische Begriff wurzeln, eine „politische Versammlung“. Sie kam zustande, indem ein Herold durch die Straßen zog. Er rief die Menschen. Die Menschen hörten. Sie folgten seinem Ruf und fanden sich zur Versammlung ein. Sie warten geladen und herausgerufen zur Versammlung als dem Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens in der antiken Stadt, der Polis (daher auch das Wort „Politik“). Dabei hatte jeder Bürger eine Stimme. Im Neuen Testament knüpft das Wort „Ekklesia“ an den hebräischen Begriff „pahel“ an. Mit „pahel“ wird im Alten Testament die einberufene Versammlung bezeichnet. Die Kirche ist daher die Gemeinschaft jener Menschen, die einem Ruf folgten.
Es ist sehr unterschiedlich, wie sich Gottes Ruf in einem Lebensgang zeigt. Vielfach geschieht er durch besondere Umstände, manchmal Krisen. Manchmal darin und darüber hinaus durch das Wort eines anderen Menschen, manchmal durch Traum und Einsicht. „Zwei- oder dreimal“ –so lesen wir im Buch Hiob (Hiob 33, 29) - verdichtet sich Gottes Ruf in besonderer Weise in einem Leben, „dass er seine Seele zurückhole aus dem Verderben und erleuchte ihn mit dem Licht der Lebendigen“, dass „Gott verschone seine Seele vor dem Verderben und sein Leben, dass es nicht ins Schwert falle.“
Hören oder hörten wir diese Rufe? Wann sprach Gott mit uns auf diese Weise? Oftmals verleugnen wir vor uns selbst diesen Anruf. Auch die Formen der Verleugnung sind aus den biblischen Schriften gut bekannt. Wir können sie an den Personen ersehen, die Gottes Ansprache am unmittelbarsten und schmerzlichsten im Wachbewußtsein erfuhren: Jenen prophetischen Männern und Frauen, denen sich der Höchste Herr offenbarte und die einen Auftrag erhielten.
„Ich bin zu jung“, antwortete Jeremia, als er in den Dienst gerufen wurde. „Antworte nicht, dass Du zu jung bist“, wird ihm daraufhin gesagt (Jeremia 1, 6-7).
„Sie ist zu alt“ erwidert der Hohepriester Zacharias auf die Botschaft des Engel Gabriel (Lukas 1, 18), weil er eine angekündigte Schwangerschaft bei seiner hochbetagten Frau Elisabeth für schlicht unmöglich hielt -die dann zur Mutter Johannes des Täufers wurde.
„Ich bin zu unrein“, meinte der Prophet Jesaja und wurde durch ein Engelwesen gereinigt (Jesaja 6, 5-7).
„Ich bin zu rein“ meinte sinngemäß Maria, die Mutter Jesu, „da ich noch von keinem Manne weiß“ (Lukas 1, 34).
Zu alt, zu jung, zu rein, zu unrein –welche Ausrede ist Deine? Welche Ausrede haben wir schon einmal in unserem Inneren gesprochen; möglicherweise, dass wir zu „jung“ seien? -Wir mögen jetzt hier Worte wie „unerfahren“ oder „noch-nicht –genug –wissend“ einsetzen. Oder vielleicht auch zu „alt“ –dass „Chancen verpasst wurden“, dass „man einen alten Baum nicht mehr verpflanzt“? Zu „unrein“? Weil man seine Taten und innersten Verkorkstheiten für völlig unvereinbar mit einer Berufung empfindet? Oder zu „rein“? Weil man sich „dem realen Leben“ und dessen Verschlingungen nicht gewachsen fühlt?
Die Antworten jener genannten Frauen und Männer spannen das Feld auf, in dem unsere Antwort, unser Widerspruch erklingt. Wann haben wir in welcher Weise geantwortet? Wann sprach Gott mit uns? Welchen nächtlichen Traum haben wir hinweggedrängt, welches Gute haben wir unterlassen zu tun in dieser Welt? In welches „Schwert“ –wie es im Buch Hiob heißt- haben wir uns lieber gestürzt? Das heißt, In welche Lebenssackgasse oder Dunkelheit haben wir uns manövriert, welchem Begehren oder Trägheit oder welchem Zorn haben wir uns lieber hingegeben oder geben wir uns hin? Welches Schicksal haben wir uns durch unsere Verneinung geschmiedet? Oder aber auch: Wo folgten wir vielleicht diesem Ruf, wo machten wir uns schon einmal auf den Weg? Die sind Fragen, die wir uns in Einsamkeit und Stille stellen können und die wir nur in der Stille auch durchdringen können. Erst in der Stille können diese Zusammenhänge und Situationen wieder vor unser inneres Auge emportauchen; und wir können sehen, warum und auf welche Art und Weise wir geantwortet haben.
Über allem hinweg jedoch dürfen wir uns des immerwährenden Gottesrufes gewiss sein. Egal, ob wir ihn in konkreten Situationen folgten oder nicht; egal, welche Seelenstimmung, welcher Schicksalshintergrund uns in die Verneinung trieb und treibt -wir werden gerufen. Und es ist gerade eine solche Zeit der Stille und Entschleunigung, die mit der Fastenzeit in eins fällt, in der wir wieder zu hören lernen können. Jene Stimme der Stille, die Gegenwart Gottes in und um uns, die wir stets und sehr leicht zu übertäuben vermögen, vermag nun an uns heranzutreten. So treten wir gleichsam tiefer hinein in die Kirche, jenseits unserer nominellen Mitgliedschaft und ehrenamtlichen Funktion, denn wir treten tiefer hinein in die „Gemeinschaft der Lauschenden“. Die innerste Essenz dessen, was Kirche ist, ist jene Gemeinschaft der Menschenseelen, die zu hören, zu lauschen vermögen. Wer tiefer lauscht, sich von der Stille führen lässt, findet sein „Ja“ zum Ruf. Und in unserem „Ja“ gehören wir tatsächlich zu Seiner Kirche, dann versammeln wir uns um ihn als Zentrum als Sein Leib; das einzige Zentrum, das Herz der Welt, das uns und alle verbindet und zu dessen goldenem Band wir stets gehören, ob wir unsere Geschwister dabei sehen oder nicht.
Carsten Schmidt (GKR Vorsitzender der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde)
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